Neue Perspektiven 2025

Second Life – Dingen, die üblicherweise entsorgt werden, in einem künstlerischen Kontext ein zweites Leben oder eben eine neue Perspektive geben: Dieses Thema beschäftigt mich seit Jahren und steht auch im Zentrum dieser Ausstellung. Manchmal erzählt ein Werk eine Geschichte oder ein Projekt nimmt durch Unvorhersehbares eine neue Richtung, und ich muss es aus einem neuen Blickwinkel betrachten. Das kann fordern, ist aber oftmals wie ein Geschenk, wenn ich die Richtungsänderung akzeptieren kann. Neue Perspektiven und Interpretationen lassen sich aber auch durch einen frischen Blick von aussen auf ein Werk entdecken, deshalb freue ich mich immer auf einen regen Austausch mit den Besuchenden.

Tell me your story (Installation)

2023 sammelte ich bei meiner Familie und mir freundschaftlich verbundenen Menschen alte, unbrauchbar gewordene Kleider. Ich entfernte den Stoff von den Alttextilien; zurück blieben nur ihre zusammenhängenden Nähte. Durch Behandlung mit Textilhärter entstanden daraus einheitlich dunkelgrau gefärbte – und nicht mehr auf den ersten Blick als ehemalige Kleidungsstücke erkennbare – dreidimensionale Objekte. Ca. 50 dieser einzelnen Objekte hatte ich damals untereinander zur begehbaren Installation Meet my life verbunden.

Etwa ein Drittel dieser Objekte bekommen nun mit der Installation Tell me your story bereits ihr drittes Leben! Kleider sind wie eine zweite Haut, alle haben ihre eigene Geschichte, sind mit «Lebensspuren» gezeichnet. So wurden mir auch einige dieser Kleiderspenden mit persönlichen, manchmal sehr berührenden Geschichten übergeben. Setzen sie sich auf das Bänklein unter der Installation und «lauschen» Sie den Erinnerungen und Geschichten, welche in die Installation verwoben sind.

Diptychon getragen – geborgen

Aquatinta, Chine collé, Ed. 1/1, 2021, je 30 × 20 cm, auf Holzkörper 

Wie in einer Hängematte ruht die goldene Sonne; der silberne Mond sucht die Geborgenheit. Oder ist der Mond gefangen, eingesperrt unter dem Geflecht des Netzwerks? Ansichtssache!

Triptychon Blaue Stunde

Aquatinta, Fragmente, 2023, 50 × 25 cm, Holzrahmen, schwarz

Die Blaue Stunde ist Ausdruck des kurzen, überwältigenden Moments, wenn die Berge unwirklich blau schimmern und alles möglich scheint. Dann weicht die Dämmerung der Nacht, der Ruhe, aber auch der Sehnsucht. Das Bild wirkt, als würden wir durch ein dreiteiliges Fenster auf See und Berge im Abendlicht schauen.

Himmel – Zwischen Himmel und Erde: Mensch – Erde

Vernis mou, Chine collé (Fragment Kalligrafie), Ed. 1/1, 2024, 30 × 30 cm, Holzrahmen, silber

Auch diese drei Werke gehören zu meiner Werkserie Second Life. Und zwar gleich in zweifacher Hinsicht:
Der Begriff Welt, auf chinesisch tiān dì, besteht aus den Silben/Zeichen für Himmel (tiān) und für Erde (dì). In der chinesischen Schriftkunst gibt es verschiedene Stile; bei der Grasschrift sind die Zeichen fliessend und miteinander verbunden. Aus einer meiner auf Reispapier geschriebenen Kalligrafien von tiān dì habe ich Fragmente aus der Silbe tiān (Himmel), aus dem fliessenden Übergang zur nächsten Silbe (Zwischen Himmel und Erde: Mensch) und aus der Silbe dì (Erde) herausgeschnitten.
Das Lotusblatt, welches in einem chinesischen Restaurant in Zürich zum Aromatisieren von Gerichten verwendet und anschliessend entsorgt worden wäre, habe ich kreisrund ausgeschnitten und mit dem Tiefdruckverfahren (Vernis mou) in eine Kupferplatte geätzt. Die eingefärbte Kupferplatte mit dem Lotusblatt – das seinerseits an die Erdkugel oder auch den Mond erinnert – habe ich dann jeweils auf die Fragmente der Kalligrafie gedruckt.

Scherbentraum – der Traum vom Fliegen

Fragment I/II/III, Aquatinta, Zweiplattendruck, 2022
12,4 × 15,2 cm/13,2 × 13,9 cm/13,2 × 13,9 cm auf Holzkörper (Zigarrenschachteln)

Manchmal liegt ein Traum in Scherben – übrig bleiben Fragmente. Diese erhalten hier, wie auch die als Holzkörper verwendeten Zigarrenschachteln, ein zweites Leben. Inspiration für diese Arbeit war eine Bleistiftskizze, die ich von einer zerbrochenen Fensterscheibe angefertigt hatte. Oder ist dies ein Schmetterling, der den Traum vom Fliegen ausgeträumt hat? Wie auch immer – hier lebt er weiter!